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rebecca928

#8 | Ein unerwartetes Paradies – Die raue Schönheit der Kap Verden

Sao Vicente, Sao Nicolau

Januar bis Februar 2024


Ich stehe mit einem Haufen Gepäck in der sengenden Hitze vor der Marina und atme tief durch. Der bruma seca verschleiert die Sicht auf das geschäftige Treiben Mindelos, trotzdem kann ich von der Straße die Rufe des Fischmarktes und stetiges Motorengeheul hören.


Blick über Mindelo

Hatte ich die Kap Verden wie eine Art Zwillingsschwester der Kanaren vermutet, so belehrt mich das afrikanische Flair der ehemaligen Kolonie schnell eines Besseren. Alte Motorräder, die ihren TÜV mit Sicherheit schon lange nicht mehr bestehen würden, brettern über die staubigen Straßen und weichen den laut schnatternden Menschen, die es wenig kümmert, ob sie nun auf dem ihnen zugedachten Fußweg oder sonst wo laufen, nur um eine Haaresbreite aus. Frauen in bunten Gewändern eilen stark gestikulierend an mir vorbei und tragen die Kisten mit Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln als wären es Federn.

Als ich meinen Rucksack schultere und mich im Schneckentempo vom Hafen entferne, drängen sich Kinder und einige Männer zu mir und fragen selbstbewusst nach Geld. Mindelo sei voll von bettelnden Menschen, habe ich gelesen, die zuweilen sogar recht aufdringlich werden können. Aber auf diesen Andrang bin ich nicht gefasst gewesen. Unangenehm berührt schüttle ich nur immer wieder bedauernd den Kopf und schiebe mich weiter.

Die Kap Verden sind eine Inselgruppe im zentralen Atlantik, etwa 570 Kilometer vor der Westküste Afrikas gelegen. Das Land besteht aus den 10 Hauptinseln Santiago, São Vicente, Santo Antão, Fogo, Sal, Boa Vista, Maio, São Nicolau, Brava und Santa Luzia sowie mehreren kleineren Inseln, von denen neun bewohnt sind.
Sao Antao
Bekannt sind die Kap Verden für ihre atemberaubenden Strände mit feinem Sand und kristallklarem Wasser, ideal zum Schwimmen, Schnorcheln und Surfen. Die Inseln bieten eine faszinierende landschaftliche Vielfalt, von den vulkanischen Gipfeln und Schluchten von Santo Antão bis hin zu den Wüstenlandschaften von Sal und Boa Vista.
Cachupa
Kulturell wurde die ehemalige portugiesische Kolonie von afrikanischen, europäischen und karibischen Einflüssen geprägt. Die lokale Musik, insbesondere die melancholische Morna und der lebhafte Funaná, sind weltweit bekannt. Die Küche der Kap Verden bietet zudem eine Vielzahl von einfachen, aber köstlichen Gerichten, darunter gegrillten Fisch, Cachupa (ein Eintopf mit Mais, Bohnen und Fleisch) und frisches tropisches Obst.
Die Inseln wurden vermutlich zuerst von seefahrenden Völkern besiedelt, bevor sie im 15. Jahrhundert von den Portugiesen entdeckt und kolonisiert wurden. Durch ihre günstige Lage wurden die Kap Verden zu einem wichtigen Stützpunkt im transatlantischen Sklavenhandel zwischen Afrika, Europa und Amerika. Im Jahr 1975 erlangten sie ihre Unabhängigkeit von Portugal und entwickelten sich zu einer demokratischen Republik. Heute erkennen die Kap Verden langsam das Einnahmepotential des Tourismus. Trotzdem gelten einige Gegenden noch als Geheimtipp und können in ihrer Ursprünglichkeit entdeckt werden.

»Ohhh, this looks heavy!«, werde ich nur wenige Meter weiter von einer Gruppe britischer Urlauberinnen angesprochen, die sich begeistert meine Reisegeschichte anhören und nach einem Foto mit mir fragen. So schnell wird man vom Touristen zur Attraktion!

Anne (links) und ihre Freundinnen

»We cross the Atlantic this evening!«, erzählen mir die Frauen. »Three days, then we arrive in Brasil.« Große Verwirrung macht sich in mir breit, bis ich herausfinde, dass die Gruppe von einem der Kreuzfahrtschiffe stammt, die im nächsten Hafen angelegt haben. Die Dauer der Überfahrt verdeutlicht mir noch einmal, mit welcher immensen Geschwindigkeit diese riesigen Schiffe unterwegs sind. Als ich mich von den Britinnen verabschiede, habe ich die Telefonnummer von Anne und eine Einladung nach London in der Tasche. Ein weiterer wunderbarer Kontakt in meinem mehr und mehr weltumspannenden Netzwerk an Menschen rund um den Globus.


Abbildnis von Cesária Évora in Mindelo - bekannteste Sängerin Kap Verdes, gilt als Königin der Morna

In Simabo’s Backpackers’ Hostel direkt in Mindelo unter der Leitung der rührigen Italienerin Silvia finde ich zunächst Unterschlupf. Um meine gestresste und deprimierte Stimmung wieder zu beruhigen, nehme ich mir vor, den Druck aus der Bootssuche herauszunehmen. Vielleicht finde ich eins, vielleicht auch eins nach Afrika, vielleicht fliege ich auch einfach am Ende. Auf jeden Fall will ich dieses Mal nicht den Fehler machen und die vielen schönen Orte verpassen, die mein Weg zu bieten hat. Ein anderer Reisender im Hostel erzählt mir von der traumhaften Wanderinsel Sao Antao. Das wäre doch etwas für einen mehrtägigen Trip!


Christians "Tarpan" - eine 36f lange Koopmans 1985

Aber wieder hat mein Glück andere Pläne geschmiedet. Schnell lerne ich in der Hafenbar Christian kennen, einen deutschen Segler auf Weltreise. Einer seiner Freunde musste wegen eines Trauerfalls in der Familie abreisen, vielleicht wird ein Platz frei sein. Einen Tag später laufe ich am Nachmittag bereits wieder hinunter zur Marina, um mir das Boot anzuschauen und sitze später auf einem belgischen Boot, auf das wir zusammen mit dem Franzosen Cedric zum Pizzaessen eingeladen wurden. Die Uhr zeigt schon weit nach ein Uhr, als ich mich durch die leeren Straßen Mindelos auf den Heimweg machen.

Die Ereignisse überschlagen sich und so werde ich nach nur zwei Nächten im Hostel dazu eingeladen, zusammen mit Christian, seinem Freund Wolfgang und dessen Frau Helene sowie einem weiteren Boot von dem Franzosen Cedric und seiner Katze Mada einen mehrtägigen Segeltrip nach Sao Nicolau zu unternehmen, um zu sehen, ob der »Vibe passt«.


Zu fünft verbringen wir traumhafte Tage an einer einsamen Ankerbucht im Südwesten der Insel, gehen schnorcheln, machen ein Lagerfeuer am Strand, beobachten Cedric, der Purzelbäume mit seinem Dinghy macht ;) und genießen die Ruhe unter dem Sternenhimmel beim sanften Schlagen der Wellen.

»Autsch!« Ich hatte gerade einen Scheinwerfer ins Wasser gehalten, um nach einer geeigneten Ankerstelle Ausschau zu halten, als etwas im Dunkeln gegen meine Hand springt, mit der ich mich bis gerade eben an einer der Stahlwanten festgehalten habe. »Was war das?« Wolfgang, der nach vorne geeilt kommt, untersucht das zappelnde Wesen fachmännisch. »Da hast du wohl einen Fisch mit deinen bloßen Händen gefangen!«, teilt er mir mit. Und auf meine Frage, was wir mit dem verwundeten Tier denn nun machen sollen, ruft er erstaunt aus: »Na, den essen wir jetzt!«

So kam es, dass ich meinen ersten Fisch nicht geangelt, sondern wortwörtlich von ihm angesprungen wurde. Später zeigt Wolfgang mir, wie man ihn filetiert und wir können ihn in einem seiner leckeren Fischcurrys zum Abendessen genießen.


Tarrafal

Nach zwei Nächten fahren wir ein Stück die Küste hinauf und werfen den Anker vor der kaum bis gar nicht touristischen Stadt Tarrafal. Nur eine Handvoll Ausländer treibt sich herum, ansonsten sind wir nur von Einheimischen umgeben, die uns neugierig beobachten, aber nicht bedrängen, wie es häufig in Mindelo der Fall war. Um einen Eindruck von der Flora und Fauna der Insel zu bekommen, nehmen wir an einem Tag ein Alguer, eines der lokalen Sammeltaxis, und fahren durch staubige Berglandschaften in den Norden der Insel nach Faja de Baixo. Dort wandern wir durch ein zufällig ausgewähltes Tal, werden von einer Gruppe Schuldkinder verfolgt und beobachten das ländliche und einfache Leben der Inselbewohner, die auf unsere Grußformeln nur wortkarg nicken. Vom Dörfchen Queimada gelangen wir in den kleinen Küstenort Carvoeiro. Ein Restaurant sucht man hier vergebens – zu wenige zufällig vorbeikommende Touristen -, aber ein Local empfiehlt uns den örtlichen Dorfkiosk. Die dort lebende Familie freut sich ein Loch in den Bauch, uns gegen ein Entgelt verköstigen zu können und tischt uns Grillhähnchen, Pommes und Gulasch auf. Am Fernseher in der Ecke läuft nebenbei eine portugiesische Telenovela. Das Hähnchen brutzelt auf dem Grill. Nach und nach kommen Einwohner wie zufällig vorbei, um sich den weitgereisten Besuch näher anzusehen.



Auf dem Rückweg halten wir auf halber Strecke bei einem lokalen Gemüsehändler, den unser Busfahrer kennt. Ein wenig illegal fühlt es sich an, im Nebenhaus, oder vielmehr zwielichtigen Schuppen, Bananen, Karotten, Sauerannenonen und Papayas in ein paar Tüten zu stopfen und dem Händler die geforderten Escudos in die Hand zu drücken – fast wie bei einem kleinen Drogenhandel. :)

Am 2. Februar machen wir uns langsam wieder auf den Rückweg nach Mindelo, wo wir von einigen inzwischen liebgewonnen Freunden sehnlichst erwartet werden. Unterdessen ist klar – I am in!


Rico, Christian Cedric; Joules, Lola; Sara, Ich

Wolfgang und Helene entscheiden sich dagegen, mitzusegeln, sodass letztendlich auch Rico, der – ebenso wie Tom – inzwischen die Crew von Pepa verlassen hat, mit von der Partie ist. Zusammen mit Cedric (und seiner schwangeren Katze), Lola und Joules (einem belgischen Pärchen), Sara (einer französischen Seglerin) und Siggie (einem deutschen Segler) planen wir nun, mit insgesamt fünf Booten gleichzeitig über den Atlantik zu starten. Die Gesellschaft der anderen ist großartig, wir gehen zusammen einkaufen, schwimmen, musizieren gemeinsam, schauen uns das Achtelfinale zwischen den Kap Verden und Südafrika im Africa Cup beim Public Viewing an, dinieren im El Metalo, unserem korsischen Lieblingsrestaurant, und endlich fühle ich mich in der Seglercommunity angekommen. Die schlechten Erfahrungen der vergangenen Wochen erscheinen nicht mehr ganz so schlimm und das »Happy End« erfüllt mich mit Dankbarkeit. Wie meine Mutter immer sagt: »Du weißt nie, wozu es vielleicht gut gewesen ist.«


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Heute ist der 7.2.2024 und die Abfahrt über den Atlantik liegt nur noch zwei Stunden entfernt. Zwischen Einräumen, Boot vorbereiten, Fotos schießen und endgültigen kleinen Besorgungen tippe ich gerade diese letzten Zeilen, bevor ich für die nächsten zwei bis drei Wochen nicht erreichbar sein werde. Tage voller Wasser, unendlichen Horizonten, Sonne, Segeln, Nachtwachen und Abenteuern liegen nun vor mir. Ziel ist voraussichtlich Guadeloupe. Und sobald wir dort ankommen, wird es auch schon wieder Zeit für einen ausführlichen Bericht über die Atlantiküberquerung sein. :))

Ansonsten: Bis in ein paar Wochen! ;)



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Lolas & Joules’ Video-Vlogs auf YouTube: https://www.youtube.com/@routevraie1475

Photos by @Rico and @Helene

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