Cascais
Dezember 2023
Hatte ich nicht den letzten Blogeintrag mit Planänderungen begonnen? Nun, dieser könnte denselben Anfang bekommen.
Natürlich segelten wir nicht am Mittwoch los. Nein. Das wäre ja auch viel zu einfach gewesen. Dienstagabend, kurz nachdem ich den letzten Bericht veröffentlicht hatte, meldet sich Valentin bei mir. Motorschaden. Irgendetwas mit dem Generator.
Zunächst klingt es so, als müssten wir Wochen auf die Reparatur warten. Ganz verzweifelt fahre ich zum Hafen, in der irrationalen Überzeugung, genau jetzt per Zufall ein Boot zu finden, das mich unbedingt sofort mitnehmen möchte.
Ein Boot finde ich nicht, dafür aber treffe ich auf Jorge, einen jungen portugiesischen Fischer und Hafenarbeiter. Wir unterhalten uns gut und er bietet mir an, mich gelegentlich auf seinem kleinen Motorboot zu den ankernden Schiffen vor der Marina zu fahren. Außerdem verspricht er mir, während der Arbeit nach Segelbooten mit Atlantikplänen Ausschau zu halten und meine Nummer an seine Kollegen im Lissabonner Hafen weiterzugeben. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass Jorge nur wenige Tage später sehr wichtig für mich werden wird.
Zunächst aber entdecke ich neben der Suche in der Marina und dem Schneiden von Videos das Nachtleben von Cascais. Im Dooley’s, einem Irish Pub in der Innenstadt, treffe ich neben meinem Skipper Valentin auf den zweiten Valentin, der ebenfalls auf »meinem« Boot mit auf die Kanaren segeln wird, sowie Thibault aus Frankreich, auch auf der Suche nach einem Boot, und Tabby aus England, die als Saisonkraft auf Yachten arbeitet. Nachdem ich nun längere Zeit nur sporadische Bekanntschaften gemacht und vor allem mit älteren Menschen gesprochen habe, tut es gut, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen und schon bald freue ich mich auf die abendlichen Zusammenkünfte.
Die Situation »Zuhause« verschlechtert sich jedoch von einem Moment auf den anderen und am Donnerstagabend packe ich aufgrund einiger Vorfälle meine Sachen, um die Wohnung früh am nächsten Morgen verlassen zu können.
Zum Glück muss ich mir keine Sekunde Sorgen um einen Schlafplatz machen. Auf das Segelboot kann ich noch nicht, denn die Verhältnisse sind dort sehr beengt und es leben bereits die beiden Valentine darauf, das möchte ich nicht überstrapazieren. Stattdessen schreibe ich noch am selben Abend Jorge, der mir bei unserer ersten Begegnung bereits angeboten hatte, einfach auf seinem Boot schlafen zu können. Da hatte ich noch abgelehnt, hatte ich doch bereits einen warmen Schlafplatz. Jetzt könnte ich es gut gebrauchen.
»Klar, kein Problem!«, antwortet mir Jorge fast sofort. »Ich bin gerade nördlich von Cascais, aber morgen Nachmittag komme ich zurück. Dann können wir das Boot zum Schlafen vorbereiten.« Ich bin dankbar wie sonst niemand.
Am nächsten Morgen ist João bereits weg, als ich aufwache. Sorgfältig packe ich meine restlichen Sachen zusammen. Nichts will ich vergessen, denn noch einmal zurückkommen möchte ich unter keinen Umständen. Die Stimmung ist schlecht. Als ich fertig bin, warte ich noch eine Stunde, aber als mein Ex-Gastgeber dann noch immer nicht wiedergekommen ist, ziehe ich die Tür einfach hinter mir zu.
Als ich schließlich, bepackt mit meinem Rucksack, hinaus ins Sonnenlicht trete, merke ich, wie eine große Anspannung, derer ich mir zuvor gar nicht bewusst gewesen war, von mir abfällt. Insgeheim bin ich froh, hier wegzukommen, schießt es mir durch den Kopf, als ich die Straßen hinunter zum Zentrum laufe. Meine Sachen stinken nach Zigaretten und Gras und sind bedeckt von fettigen Hundehaaren, vor denen die Wohnung nur so starrte. Und das Anhören von rassistischen und antifeministischen Reden bleibt mir nun auch erspart. Manchmal bemerkt man die Dinge, die einen belasten, eben doch erst in dem Moment, in dem man aus ihnen hinaustritt - einen Schritt zurück macht, sie von außen betrachtet. Eigentlich doch ein Fortschritt.
Die Zeit, bis Jorge nach Cascais zurückkommt, verbringen mein Rucksack und ich in der Pastelaría a Bijou de Cascais bei der leckersten heißen Schokolade der Welt. Hier treffe ich Ming-Ma, der mich bei unserer ersten Begegnung erst einmal sein Herkunftsland erraten lässt.
»Philippinen«, versuche ich mein Glück, obwohl ich furchtbar schlecht in so etwas bin und mich immer furchtbar blamiere.
Kopfschütteln. Natürlich.
Nächster Versuch. Natürlich vollkommen ins Blaue. »Malaysia.«
Kopfschütteln.
»Ich gebe dir einen Tipp. Es liegt zwischen China und Indien.«
Das war zu einfach. »Nepal«, errate ich sofort und strahle über das ganze Gesicht. »Mero naam Rebecca ho«, schiebe ich gleich hinterher. »Tapai ko naam ke ho?«
Ming-Ma schaut erst überrascht und dann, als ich ihm von meiner Zeit in Nepal erzähle, begeistert und freut sich wie ein Honigkuchenpferd über meine recht dürftigen aber vorhandenen Nepalikenntnisse.
Am Abend sammelt mich Jorge am Hafen auf und zeigt mir das kleine Notbett hinter dem Steuer seines Fischerbootes. Nach einem langen Gespräch über Gott und die Welt verabschiedet er sich und ich bleibe etwas frierend zurück - hier ist nichts isoliert. Aber mit einem guten Schlafsack und ein paar Schichten Klamotten lässt sich alles bewältigen.
Am nächsten Morgen kommt Jorge noch einmal vorbei und hat schlechte Neuigkeiten im Gepäck. »Mein Kollege braucht das Boot heute Abend zum Fischen«, teilt er mir bedauernd mit. »Du kannst leider nicht hier bleiben.« Gemeinsam überlegen wir, wo ich hinkönnte, da hat Jorge plötzlich einen Einfall. Aufgeregt ruft er kurz jemanden an und legt gut gelaunt auf. »Luís«, teilt er mir mit. »Er arbeitet bei der Lifeboat Station hier in der Marina und hat ein Segelboot.« Ich bekomme eine Nummer und kann mein Zeug in besagter Station abstellen. Luís komme am Abend wieder, teilt man mir mit. Jorge rät mir, die Zeit zu nutzen, und in den Lissabonner Häfen nach Booten zu fragen. Warum nicht, etwas Besseres habe ich ohnehin nicht vor.
Lissabon. Sonnenschein, etwa 19 Grad. Geschäftiges Treiben.
Nachdem ich bereits am Weihnachtssingen einer Internationalen Kirche teilgenommen, am Tor von Bélem Ukulele gespielt und einigen Hafenmitarbeitern meine Kontaktdaten in die Hand gedrückt habe, treffe ich auf Christian. Schnell stellt sich heraus: Er ist zwar Segler, segelt aber mit einem Team Regatten und nicht um die Welt.
Besagtes Team trifft kurze Zeit später ebenfalls ein. Die Truppe hat gerade ein Training beendet und lädt mich spontan dazu ein, mit ihnen zu Mittag zu essen. In einem Restaurant wenige Meter weiter trifft man sich gelegentlich nach der »Arbeit« und isst Prego, ein typisches portugiesisches Gericht, allerdings gelinde gesagt lediglich bestehend aus Fleisch in Brot. Während des Essens lerne ich die anderen Teammitglieder kennen. Ich verstehe mich blendend mit ihnen und unterhalte mich gut. Christian gibt mir den Kontakt seines chilenischen Neffen und Christina lädt mich dazu ein, mit zu einer Preisverleihung des Regattenvereins zu kommen, die direkt im Anschluss an das Essen stattfindet.
So finde ich mich wenig später in einem alten Bootsmuseum auf einem eleganten Galaempfang wieder und koste mich durch Buffet (Weintrauben mit Limetten einreiben – Empfehlung!!!). »Mein« Team gewinnt gleich zwei Preise und weiß beim ersten schon gar nicht mehr, um welches Rennen es sich überhaupt handelt. Als es dunkel wird, verabschiede ich mich langsam, möchte langsam erkunden, ob das mit dem Schlafplatz klappt.
Da sitze ich nun, vor dem Tor zur Lifeboat Station, in die man ohne Schlüsselkarte nicht hineinkommt, und klimpere ein wenig auf meiner Ukulele. Inzwischen ist es dunkel, die Marina hat sich geleert und langsam gehen auf den umliegenden Booten die Lichter an.
I was scared of dentist in the dark, summe ich gerade vor mich hin, da taucht ein Fahrrad direkt vor mir auf und hält an. »Who are you looking for?«, fragt die Person darauf.
»Luís?«, antworte ich vorsichtig. Dummerweise habe ich kein Foto und daher keinen Schimmer, wen ich hier vor mir habe.
Der Fahrradfahrer steigt ab und lächelt. »That’s me.«
Eine Stunde später sitze ich in einer Nische des Daydreamers und schlürfe eine improvisierte heiße Schokolade. Bevor er das Boot hatte, erzählt Luís, habe er zwei Jahre in seinem umgebauten Van gelebt, der vor der den Docks stand. Vor drei Jahren zog er dann um und lebt nun auf der 30 Fuß langen Masttop-Schaluppe, eine Alberg 30 aus dem Jahr 1977. Die Stunden tröpfeln dahin, das Gespräch kreist um Lebensgeschichten, buddhistische und hinduistische Weisheiten, Glauben, Pläne, das Dichten und mir nichts wie dir nichts ist es bereits zwei Uhr nachts.
Als ich nachher in meinem schaukelnden Bett liege und durch die Luke im Deck den Sternenhimmel sehen kann, fühle ich mich unglaublich angekommen und gut aufgehoben. Dankbarkeit durchflutet mich und plötzlich ist Cascais nicht mehr nur eine Durchgangsstation.
Bereits wenige Tage später habe ich mich nahtlos in Luís’ Alltag eingefädelt und begleite ihn bei seinem täglichen Leben, sei es beim Yoga im Park, beim morgendlichen Pancake-Backen, beim Kontrollgang durch die Marina, beim noch so öden Supermarkteinkauf, beim Schlendern über den Weihnachtsmarkt oder kleineren Eiswasser-Challenges auf dem Bootssteg. Wir verstehen uns blendend, freuen uns über den Zufall, der uns zusammengeführt hat und als wir am Sonntagabend nach einer Fahrt mit dem Riesenrad am Hafen im Dunkeln
zurück zum Boot schlendern, meint Luís unerwartet zu mir: »Weißt du was, eigentlich bin ich ein Einzelgänger, aber du bist eine gute Gesellschaft.« Ein kleiner Nebensatz, mal eben fallengelassen, aber noch Stunden später muss ich darüber nachdenken. Gibt es nicht für jeden von uns diese Handvoll Menschen, deren Gesellschaft uns nicht nervt, nicht
unsere soziale Batterie erschöpft, sondern die wir einfach genießen? Wie oft sagen wir ihnen das? Häufig wissen wir gar nicht, wie viel wir anderen bedeuten. Vielleicht sollten wir diese kleinen Nebensätze öfter mal fallenlassen und unser Gegenüber wissen lassen, dass wir »einfach nur deine Anwesenheit« schätzen.
Ein bisschen von Portugal sehen sollte ich, findet Luís und nimmt mich kurzerhand auf einige Ausflüge mit. So besuchen wir zusammen das windige Cape da Roca, die Strände Cascais’ und die trendige Beachbar do Guincho, das alte Kloster von Peninha, das auf einem kleinen Berg steht und noch windiger als der westlichste Punkt Europas ist, und die verspielte Stadt Sintra, die einen herrlichen alten Villengarten hat, in welchem es von der Brunnenhöhle bis zur Wasserfalllagune allerhand zu entdecken gibt.
Seit Samstagabend wohne ich nun bei Luís. Am Dienstag teilt mir Valentin mit, der Motor sei erneut repariert, man wolle am Freitagmorgen starten.
Weil er mir am Donnerstag immer noch nicht geantwortet hat, was ich an Lebensmitteln mitbringen sollte, fahren wir in einem kleinen Motorboot hinaus zu den ankernden Schiffen vor der Marina. Auf der Shakya angekommen, stellt Luís etliche technische Fragen und nimmt das Segelboot etwas genauer unter die Lupe. Später eröffnet er mir, kein gutes Gefühl
dabei zu haben, mich damit fahren zu lassen. »Das ist das älteste und verkommenste Schiff, das mir in den letzten Jahren untergekommen ist«, erklärt er. »Und es verfügt über keinerlei moderne Technik.«
Das gibt mir zu denken und schlussendlich nehme ich Luís Angebot an, Weihnachten mit seiner Familie im Norden zu verbringen und mir ein neues Boot in Richtung Kanaren zu suchen.
Bereits zwei Tage später sitze ich in einem viel zu großen, grünen Pyjama in der Küche eines sehr verwirrend verwinkelten Hauses in Estarreja und beobachte verwundert Luís Mutter dabei, wie sie geschäftig hin und her rennt, jedes Mal an einer anderen Köstlichkeit kochend. Kürbisse werden zerlegt, Teigschlachten ausgefochten und Häppchen gebrutzelt. Zwei ganze Tage steht sie am Herd und das sind nur die Süßigkeiten. Das Hauptgericht, traditionell Kabeljau, wird von Luís’ älterer Schwester Ana, die am Weihnachtstag mit ihrer Familie anreist, zubereitet.
Der Heiligabend wird in Portugal, so erzählt man es mir, im großen Kreis verbracht – Großeltern, Kinder, Enkelkinder, Schwiegertöchter, Schwager… Man sitze bei den Entradas, einer Vorspeisenplatte mit Käse, Wurst, Brot und Obst, zusammen und amüsiere sich, erst spät gäbe es das Weihnachtsessen, danach die Süßspeisen. Um Mitternacht gehe man in die Kirche, nehme danach noch ein Nachtmahl zu sich und erst dann werden die Geschenke geöffnet.
So erinnern sich zumindest die »Älteren« an ihr Weihnachten. In »meiner« Familie geht man inzwischen nicht mehr in die Kirche. Stattdessen werden die Geschenke gleich nach dem Essen ausgepackt und danach zusammengesessen.
Die Weihnachtsfeiertage gestalten sich ähnlich. Ich erinnere mich vor allem an Essen (sehr viel Fisch und sehr viele Reste vom Süßkram, den natürlich nicht einmal zwanzig Leute an einem Tag hätten verspeisen können), Wein (weil Anas Man Miguel in Weinliebhaber ist) und Ukukelenmusik (Luís’ Nichte Carolina hatte von ihm eine zu Weihnachten bekommen, nachdem sie sich in meine verliebt hatte – und da musste natürlich viel gespielt werden). Die Kinder freuen sich riesig, als ich ihnen das Plätzchen- und Vanillekipferlrezept von Zuhause zeige und leben ihre Kreativität beim Verzieren
aus. Das endet in einem Familienevent, bei dem wir zu Rolf Zuckowskis Weihnachts-Album Sternschnuppen und Tannenbäume (denn mehr Ausstechformen haben wir nicht gefunden) ausstechen. Das Rezept muss ich nachher übersetzen, man wolle das im nächsten Jahr wiederholen. Da freut sich mein Bäckerherz. ;)
Mildes Wetter an Weihnachten sind wir in Deutschland ja inzwischen gewöhnt, aber dass es draußen manchmal wärmer ist als drinnen, überrascht mich dann doch. Schon seltsam, wie sehr ich daran gewöhnt bin, dass es im Dezember kalt ist und wie stark das mit dem Festgefühl zusammenhängt.
Die Weihnachtstage werden mit ein paar Ausflügen abgerundet. So besuchen wir Aveiro, das »Venedig Portugals«. Die Kanäle und ihre gondelähnlichen Schiffe erinnern tatsächlich ein wenig an die italienische Lagunenstadt.
Die gondelähnlichen Schiffe sind typisch für diese Region Portugals und werden Moliceiros genannt. Mit ihnen wurden früher Algen und Seetang transportiert, der zu den Handelsgütern der Gegend gehörte. Traditionell werden sie bunt bemalt und oft – weil »Fischer frivol« sind – mit unzüchtigen Szenerien bestückt.
Auch der Besuch einiger Lieblingsorte von Luís steht auf dem Programm. Auf dem Weg in Richtung Meer durchqueren wir malerische Fischerhütten an der Lagune am Cais do Bico (hier gibt es einen kostenlosen, grandiosen Wohnmobilstellplatz, falls wer mal in der Gegend ist), folgen einer durchlöcherten Straße und sehen in der Ferne ein Flamingopärchen, bevor wir über die Brücke auf eine Halbinsel gelangen.
Am dortigen Hafen begrüßt Luís einige alte Freunde. Gerade kehren die Fischer in ihren bunt
bemalten Booten vom Wasser zurück. Neugierig beobachte ich, wie sie Dutzende Netze mit Muscheln auf den Stegen stapeln und dann zum Wiegen bringen. Große Laster transportieren den Fang im Anschluss zur Weiterverarbeitung. Die Fischerboote sind keine »echten« Mulceiros mehr, erklärt mir Luís. Trotzdem sind sie mit viel Liebe zum Detail verziert worden. Der Hafen strahlt über das trübe Wetter hinweg.
In Torreira zeigt mir Luís die Strandwohnung der Familie. Hier hat er zwei Jahre nach der Schule gelebt und am zehn Meter entfernten Strand als Rettungsschwimmer gearbeitet. In seinem damaligen Lieblingsrestaurant probiere ich zum ersten Mal Garnelen, Muscheln und Tintenfisch – echtes Seafood aus der Region.
Auch das »Ende der Welt« in Form von einem langen Pier an der Spitze der Landzunge, die in den Atlantik hineinragt, bleibt vor unserem Besuch nicht sicher. Inzwischen stürmt
und regnet es ein wenig, das Meer sieht ungemütlich aus. Ein paar Angler zeigen uns stolz ihren Fang – eine Riesenkrabbe, die größer ist als mein Kopf. Die Wanderung durch ein Dünenreservat fällt am Ende des Tages leider flach – ein streunender Hund habe erst am Vormittag eine Frau angefallen, erzählt uns der diensthabende Wachmann, das wolle man nicht noch einmal riskieren.
Einige Tage vor Silvester heißt es dann auch schon wieder, Abschied zu nehmen. Ich drücke »Tita«, Luís’ Mutter, zwei Küsschen auf die Wange und sage: »Adeus, obrigada!« Tita spricht kein Englisch, ich kein Portugiesisch.
Perfekte Kombi.
Über die Festtage haben wir uns gelegentlich über Spanisch verständigt oder jemand übersetzte für uns. Aber meistens reicht Mimik und Gestik vollkommen aus. Und nach dem Backen kenne ich nun die hilfreichen Wörter für »eine Prise Salz«, »zwei Eier« oder »fermentiertes Obst« auch auf Portugiesisch. Wer weiß, wo man das nochmal gebrauchen kann! :)
Zurück in Cascais wird erst einmal »klar Schiff« gemacht. Neben meiner Bootssuche vergehen die Tage wie im Flug und kaum habe ich mich versehen, da ist auch schon der letzte Tag des Jahres angebrochen.
Als ich morgens aufwache, regnet es. Dicke Tropfen platschen auf die Luke über mir und wenn ich den Kopf etwas neige, höre ich sie neben mir die Wasseroberfläche durchbrechen.
Beim Duschen kommt mir an diesem Tag eine Idee. Das Wetter ist schlecht, die Saison fast vorüber, ich habe kaum Segler gefunden, die überhaupt in den nächsten Wochen irgendwo hinfahren. Und Luís hat zwar einige Kontakte in den Häfen, aber ein Boot herzaubern können die auch nicht. Und dann ist da noch diese Seglertruppe auf Fuerteventura, die in der zweiten Januarwoche aufbrechen wollte und mir angeboten hatte, mich mitzunehmen – über den Atlantik. Die Zeit wird knapp.
Deshalb fasse ich an diesem letzten Tag des Jahres den Plan, nach Spanien, ins etwa sechs Stunden entfernte Huelva zu reisen und von dort aus die Fähre nach Gran Canaria und anschließend Fuerteventura zu nehmen.
Vorher aber heißt es, das neue Jahr mit all seinen Vorhaben und Geschichten, die es so bringen mag, zu begrüßen. Zunächst steht ein Videocall mit der ganzen Oßling-Truppe an. Seltsam, dieses Jahr nicht dort zu sein, all die Traditionen mitzuerleben, die für mich seit jeher zu Silvester dazu gehören – aber auch schön, all die wunderbaren Leute zu sehen und zu sprechen, mit denen ich es sonst gefeiert habe. ^^
Später lade ich Luís ins »Soja«, eine urige Nudelbar (Klare Empfehlung - bestellt die Süßkartoffelnudeln, ihr werdet es nicht bereuen!) ein, bevor wir uns mit einer Flasche Sekt und einer Tüte Rosinen auf dem Weg zum Hafen machen.
Traditionell isst man für jeden Glockenschlag vor Mitternacht eine Rosine – und wünscht sich bei jeder etwas fürs Neue Jahr.
Am Strand startet bereits kurz vor dem Jahreswechsel eine beeindruckende Drohnenshow, die dann, pünktlich um Mitternacht, in ein gewaltiges Feuerwerk übergeht. Die Leute um uns herum jubeln und feiern ausgelassen, trotz des morgendlichen Regens ist es angenehm warm und entlang der Küste sieht man bis nach Lissabon weitere Lichter aufsteigen.
In diesem Sinne wünsche ich euch allen, liebe Freunde, Verwandte und wer auch immer ebenfalls auf diesen Blog gefunden hat, eine frohes und, so hoffe ich, glückliches neues Jahr 2024. Noch sind die Tage unbeschriebene Blätter, die es zu füllen gilt mit vielen lustigen, bereichernden und auch fordernden Geschichten. Noch wissen wir nicht, wo wir im nächsten Jahr um diesen Zeit stehen werden, aber eins ist sicher – es wird einiges zu erzählen geben. :D
Kommentare