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rebecca928

#3 | Wenn die Zeit stehen bleibt - Eine Woche in Taizé

Aktualisiert: 16. März 2024

Frankreich

Oktober 2023


»Wie viel Erlebtes kann in eine kurze Spanne von Zeit passen?« Meine Antwort auf diese Frage soll sich während meines Taizé-Aufenthalts noch gravierend ändern. Bereits die ersten Stunden fühlen sich wie eine Ewigkeit an und gehen doch viel zu schnell vorbei.


Zunächst melde ich mich in La Morada an.

»Wie viele Leute sind zurzeit hier?«, frage ich Matthew, den Volunteer aus Norddeutschland, der mich einweist.

»Etwa 40 bis 60 Alleinreisende zurzeit. Morgen und übermorgen kommen noch ein paar Gruppen an.«

»Wow, sind das viele«, staune ich.

Matthew lächelt nur milde. »Du solltest mal im Sommer kommen. Da tummeln sich hier gut und gerne mal mehrere Tausend Leute auf einmal.«

Teepause nach dem Putzen immer Beste

Bewaffnet mit einem Lageplan mache ich mich auf den Weg zu den Unterkunftsbaracken am anderen Ende des Campus. Als ich an Point 5 vorbeikomme, an dem sich eine kleine Gruppe Jugendlicher tummelt, schallt es fröhlich heraus: »Wow, what a big backpack! Do you want to stay for a year?« Die international diverse Truppe ist gerade mit dem täglichen Putzen fertig und bietet mir sogleich ein paar ihrer Cookies an. Elisabeth, ebenfalls aus Deutschland, bietet sich an, mir die Unterkünfte zu zeigen. Dankend nehme ich an, froh, endlich mein Gepäck verstauen zu können.

In erster Linie ist Taizé eine kleine französische Gemeinde mit etwa 200 Einwohnern im Département Saône-et-Loire in der Region Burgund. Bekannt wurde sie durch die Communauté de Taizé, eine ökumenische Bruderschaft, die in den 40er-Jahren von Frère Roger Schutz gegründet wurde. Frère Roger hatte die Vision, eine Gemeinschaft zu schaffen, die den christlichen Glauben in einem Geist der Einheit und Brüderlichkeit lebt.
Grab von Frére Roger
Die Aufgaben der Communauté de Taizé sind vielfältig und umfassen Gebet, Meditation, und soziales Engagement. Die Brüder von Taizé leben gemeinsam in Einfachheit und teilen ihre materiellen Güter. Ihr tägliches Leben besteht aus Gebeten, Bibelgesprächen, handwerklichen Arbeiten und dem Empfang von Gästen aus aller Welt.
Die Brüder von Taizé organisieren regelmäßig internationale Jugendtreffen, bei denen Zehntausende von jungen Menschen verschiedener Konfessionen und kultureller Hintergründe zusammenkommen, um gemeinsam zu beten, zu singen und über Glaubensfragen nachzudenken.
Die einfache, meditative Musik, für die Taizé bekannt ist, spielt eine zentrale Rolle in den Gebetszeiten und schafft eine Atmosphäre der Ruhe und Spiritualität. Die Communauté de Taizé hat im Laufe der Jahre einen bedeutenden Beitrag zur Förderung des interreligiösen Dialogs und der Friedensarbeit geleistet, und ihre Botschaft der Liebe, Versöhnung und Gemeinschaft zieht Menschen aus der ganzen Welt an.
Anne und Woonju bei der Essensausgabe

Am Abend bekomme ich eine Kelle in die Hand gedrückt und helfe dabei, das Abendessen auszuteilen – alles basiert auf Freiwilligkeit, auch zum Abwaschen findet sich immer jemand. Sogleich fühle ich mich aufgenommen, irgendwie als Teil der Gruppe. Das ist der besondere Spirit von Taizé, eine Lebensweise, die alle mit einbezieht und niemanden ausschließt. Ich bin froh, hergekommen zu sein.

Die Kirche

Diese Freude steigert sich noch mehr, als ich das erste Mal nach dem Abendessen zum Abendgebet gehe. Die Kirche, die Musik, die Brüder in ihren weißen Gewändern, die Atmosphäre… all das überwältigt mich und auch andere bestätigen mir später, dass auch sie diese Erfahrung gerne noch einmal das erste Mal machen würden. Als ich später vor dem Schlafengehen Zuhause anrufe, kann ich nichts anderes sagen, als : »Papa. Es ist so schön hier. Es ist einfach so schön hier.«

Ich, Anett, Elisabeth

In den nächsten Tagen lerne ich das Leben, die Routinen und die Menschen von Taizé näher kennen. Letztere ändern sich unentwegt, die »Zusammensetzung« der Gäste durchmischt sich durch An- und Abreise nahezu jeden Tag, trotzdem bleiben die meisten mindestens eine Woche. Da wir zu dieser Jahreszeit nicht viele sind, entsteht schon bald das Gefühl einer lockeren Gruppe, in der jeder jeden zumindest schon einmal gesehen hat.

»Im Sommer kann es sein, dass du beim Frühstück mit jemandem redest und ihn für den Rest der Woche kein einziges Mal wiederfindest«, erzählt mir irgendwann ein »alter Taizé-Hase«.

In den Bibelrunden, die diese Woche von einem indonesischen Bruder geführt werden, sprechen wir über verschiedene Bibelstellen und treffen uns später in kleinen Gruppen, um darüber zu diskutieren. Schreibe in mein Tagebuch: »Der Bruder sagt viele schlaue Dinge. So viele, ich konnte sie mir nicht merken. Über das Zuhören und Nicken vergesse ich immer, sie mir aufzuschreiben.« :)

Die Tage vergehen langsam und schnell zugleich. Sie sind vollgestopft mit »Terminen« und fühlen sich doch nicht nach Arbeit an. Sie erschöpfen mich und geben mir Kraft. Sie stimmen mich nachdenklich und bringen mich zum Lachen.

Ich & Janina

Für gute Stimmung wird immer gesorgt. Besonders die »Putzeinsätze« bei Point 5 bringen uns eine Menge Anekdoten ein. So bin ich einmal mit Menno und Rain aus den Niederlanden eingeteilt, die beide am nächsten Tag Geburtstag haben und sich köstlich darüber amüsieren, allen weisgemacht zu haben, sie seien Zwillinge.

Oder den »Do you feel safe?«-Running-Gag, den Dunken, einer der Volunteere, einbringt, wann immer sich jemand bei der Teepause nach dem Putzen unter einen schweren, an der Decke hängenden Tank setzt.

Oder meine Wanderstöcke, die nicht ankommen wollen, sodass bald die Vermutung umgeht, sie würden wohl für den Rest meiner Reise hinter mir herreisen.

Oder Daan, bei dessen Vorstellung »I’m Daan.« ich den Namen »Imdone« verstehe und der sich jetzt daher manchmal mit »Hey, I’m done and tomorrow I’m gone« vorstellt und damit die Leute verwirrt.

Ich, Maria, Francesco, Pauline - gibt keine bessere Putztruppe :)

Oder die Beatles-Dance-Sessions, die ich mit Maria und Pauline beim Waschbeckenputzen vor den Spiegeln einlege.

Oder das Abendessen, das immer ein bisschen random zusammengestellt ist. Wo man Linsen zusammen mit Reis, Baguette, Gemüsebrei und Mandarinen isst und den Geschmack am Ende gar nicht mal so schlimm findet. Kommt ja eh alles in denselben Magen. ;)

Abendessen

Oder der Pinguin-Song, ein wahnsinniger Ohrwurm mit toller Choreografie, den wir vor der Arbeit und einmal auf einer Mauer tanzen, an der ich mich ganz schön erbärmlich und wenig elegant hochziehe, nachdem ich die Kamera übergeben habe.

Daan, Antoine, Pauline, Noémi

Oder, oder, oder… Gleichzeitig kommen auch tiefgründige Gespräche und Austausch von Sorgen, Plänen und Gedanken nicht zu kurz. Als wir uns auf einem spontanen Spaziergang in eine der Dorfkirche setzen, stimmt jemand ein Taizé-Lied an, dem sich sogleich mehrere Stimmen anschließen. Es ist eine ruhige, friedvolle Erinnerung, die mir sehr im Gedächtnis hängengeblieben ist.


Typischer Tagesablauf in Taizé:
8:15 – Morgengebet, danach Frühstück
10 Uhr – Bibeleinführung, danach Austausch in kleineren Gruppen
12:20 – Mittagsgebet, danach Mittagessen
14 Uhr – Workshops, Chorprobe…
15 Uhr – praktische Mithilfe (im Winter nur Putzen), danach Tee
17:30 – Workshops, Treffen
19 Uhr – Abendessen
20:20 – Abendgebet

Am Samstag erzählt mir Elisabeth zwischen den Mahlzeiten von ihren weiteren Reiseplänen. Wandern in den Pyrenäen soll es sein, aber: »Ich habe kein Zelt dabei und keine Isomatte. Und ich weiß nicht, ob ich das alleine machen sollte. Und wie ich dahin komme und… ach, die Planung ist noch ganz am Anfang.«

Pyrenäen… Wandern… Das ist meine Richtung und meine Leidenschaft. Spontan schließen wir uns zusammen und entscheiden uns dafür, Taizé am kommenden Mittwoch zu verlassen, um eine Woche gemeinsam zu reisen.

Zu diesem Zeitpunkt kennen wir uns gerade einmal seit drei Tagen.

An diesem Abend schreibe ich in mein Tagebuch: »Sitze auf der Mauer im Dorf. Beobachte die leuchtenden TGVs, die ihren Lichtschweif alle halbe Stunde durch das Tal ziehen. Lachen schallt vom Campus zu mir heraus. Jemand hat einen Witz gemacht. Alles ist friedlich. Es fühlt sich so an, als wäre ich schon eine Ewigkeit hier. Jeder ist rücksichtsvoll, bringt seine eigenes Erlebtes mit sich und steckt voller Wunder. Ich bin dankbar.«

Am Sonntag und Montag heißt es bereits, von einigen Abreisenden Abschied zu nehmen. Zum Mittag richtet eine der anwesenden Gruppen, die mich mit ihrem pinken Merchandise an einen Junggesellinnenabschied erinnert, ein Festessen aus. Begeistert machen wir uns über die Köstlichkeiten her.

Spieleabende

Frére Jean-Gabriel macht in dieser Woche die Bibelstunden, ein lustiger Slowake, der uns häufig zum Lachen bringt. Die Abende verbringen wir in Room 10 beim Karten- und Ukulelenspiel und Diskutieren über Lebensziele, Erwachsene, das Erwachsenwerden…

Nach jedem Abendgebet bleiben einige der Brüder da, jeder kann kommen, mit ihnen beten, reden, was auch immer. Nach dem letzten Abendgebet gehe ich zu einem von ihnen und bitte um einen Reisesegen. Frére Matthew erkundigt sich nach meinen Plänen, hört sich meine Sorgen und Vorfreuden an, erzählt selbst davon, wie er einst sein Elternhaus verließ und betet anschließend zusammen mit mir und für mich. Ich bin tief berührt.

Aus der Reihe »Zufälle, die es eigentlich gar nicht gibt«
Einen Tag vor meiner Abreise lerne ich Jakob kennen, Theologiestudent aus Köln. Wir kommen ins Gespräch und ich erwähne an einer Stelle, dass ich es bedauere, meine Rosenkranz aus Asissi, den ich vor einigen Jahren während einer Privataudienz beim Papst habe segnen lassen, zu Hause vergessen habe. »Du hast keinen dabei?«, hakt Jakob nach. Ich nicke. »Für einen solchen Fall«, er greift in seine Tasche, »habe ich immer zwei dabei.«
Mir fallen die Augen aus dem Kopf. Seit diesem Tag begleitet mich der robuste Rosenkranz aus Bosnien-Herzegowina in jede Kirche, die ich auf dem Weg finden kann. :)

Dann ist es auch schon an der Zeit, erneut Abschied zu nehmen. Dieses Mal für Elisabeth und mich. Und auch wenn es nur eine Woche in Taizé war, so fällt er schwer. »Ich habe diesen Ort und vor allem diese Leute sehr liebgewonnen – sie und ihre Geschichten. Jeder hat eine andere, hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Aber wir alle kommen, weil wir auf der Suche nach etwas sind. Nach Ruhe, nach Antworten, nach Abwechslung, nach einem „Danach“. Wir alle sitzen auf einer Drehscheibe und wissen noch nicht, wo wir aussteigen sollen.« Ein Zitat aus einem Film kommt mir in den Sinn: »Wir sind alle heimatlos, auf dem Weg, zurück nach Hause.«

Have you ever seen

a penguin in Taizé?

If you look at me

a penguin you will see

Penguins! Attention!

Penguins! Begin!

Right hand, left hand…




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