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rebecca928

#14 | Von der Gastfreundschaft eines kleinen Volkes – Menschen in Grenada

Grenada

Mitte bis Ende April 2024


Meine ersten Schritte führen mich direkt in den nächstgelegenen Supermarkt. Die Wasservorräte sind aufgebraucht und meine Kehle schreit nach etwas zu trinken. Danach fahre ich mit einem der verrückten Sammeltaxis vom Hafen zur Marina und laufe zum Pandy Beach. Hier, so hatte es mir der französische Backpacker Thomás erzählt, könne man gut campen oder eine Hängematte aufhängen.



Der Strand hat kaum etwas von den klassischen Traumstränden der Karibik. Er ist schmal, an einigen Stellen liegt Müll, der Sand ist braungelb und im Wasser brechen spitze Felsen durch die Wasseroberfläche. Touristen treiben sich hier nicht herum, nur zwei feiernde Frauen, offensichtlich Einheimische, die sich an einem verfallenen Holzhaus eine kleine Bar aufgebaut haben. Sichtlich betrunken laden sie mich überschwänglich ein, sich ihnen anzuschließen. Freundlich lehne ich ab und sehe mich nach einem geeigneten Platz für mein Zelt um. Ein paar Meter weiter heben sich ein paar Holzhütten von dem Geäst hinter dem Strand ab. Hier scheinen Menschen zu wohnen.

Ich lehne meinen Rucksack an einen riesigen Baum und gehe auf die Häuser zu. Ein Junge, etwa in meinem Alter, kommt mir entgegen. Auf Englisch frage ich, ob es hier sicher sei und in Ordnung für die Bewohner, wenn ich mein Lager hier errichten würde. Quasi in deren Vorgarten.

Der Junge nickt und grinst. »Shiquam«, stellt er sich vor. Er arbeite als Fischer und wohne hier mit seinen Cousins, Tanten, Onkel und etlichen weiteren Familienmitgliedern, bei denen ich schon nach kurzer Zeit nicht mehr durchblicke. Schnell baue ich mein Zelt auf, bevor es dunkel wird, und noch ehe ich fertig bin, halte ich schon das Wlan-Passwort in den Händen und werde auf ein Lagerfeuer eingeladen. Deluxe-Camping in Grenada – wer hätte das gedacht?



Am nächsten Tag laufe ich die wenigen Minuten zur Marina hinüber. Bootssuche ist angesagt. Shiquams Cousin Tyler arbeitet im Hafen als Mechaniker und hat mir versprochen, seine Augen offen zu halten. Und direkt ist man bekannt. :)

»Hey, hast du von Booten gehört, die in Richtung Südamerika fahren?«, spreche ich einen seemännisch wirkenden Mann in der Victory Bar an und nippe an meinem Mango Saft. Lecker. Der Seebär dreht sich von seinem Stuhl um und mustert mich. »Bist du eine Bootstramperin?«, fragt er mich geradeaus. Ich nicke und komme mit Frances ins Gespräch. Der Niederländer ist erst vor wenigen Monaten von Afrika aus nach Brasilien und anschließend nach Suriname gesegelt. Jetzt möchte er nach einem Stopp auf Carriacou und den Grenadinen weiter zu den ABC-Inseln. »Ich habe schon über den Atlantik Tramper mitgenommen«, erzählt Frances mir. »Allesamt gute Erfahrungen. Wenn du segeln willst, komm gerne mit!«

Wir verabschieden uns mit dem losen Versprechen, hier in der Marina bestimmt noch einmal aufeinander zu treffen. Das Angebot ist verlockend, die ABC-Inseln wunderschön und vor allem nicht so weit weg von der kolumbianischen Küste. Aber die Umwege würden mich zu viel Zeit kosten. Am liebsten würde ich ein Boot finden, das mit direkt nach Trinidad mitnimmt. Von dort aus soll es eine Fähre ans Festland geben. Meinen ursprünglichen Plan, ein Boot nach Brasilien oder Suriname zu finden, verwerfe ich ganz schnell wieder. Niemand fährt von hier aus dorthin, zu schroff sind die Wind- und Strömungsbedingungen.


St. John's Street

Gegen Mittag fahre ich ins Stadtzentrum von St. George’s, mache ein paar Besorgungen, drucke Flyer für meine Bootssuche aus und besuche eine Kirche auf einem der vielen Hügel, an denen die Hauptstadt Grenadas liegt. Schon wieder ist ein Kreuzfahrtschiff angekommen, die Stadt brummt geschäftig. Auf dem Weg zur nächsten Sammeltaxistation passiere ich eine Gruppe kleiner Schulkinder in Uniform. Ein kleines Mädchen hält an, schaut mit großen Augen hoch, flüstert »I like your hair!« und hüpft dann fröhlich weiter. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht schaue ich ihr hinterher.


Der öffentliche Nahverkehr in Grenada ist deutlich besser ausgebaut als jener in Guadeloupe – auch wenn es dafür ehrlich gesagt nicht viel braucht. Kleine Sammeltaxis mit Sitzplätzen für etwa vierzehn Personen (wobei im Zweifelsfall auch deutlich mehr hineingehen) heizen durch die Straßen. In der Windschutzscheibe hängen Schilder mit Nummern, die den Fahrgästen die Route verraten (wobei man wissen muss, welche Nummer zu welcher Route gehört). Linie 1 fährt beispielsweise immer zwischen St. George’s und dem berühmten Touristenstrand Grand Anse. Linie 8 hingegen fährt einmal über die gesamte Südspitze bis nach Grenville im Osten der Insel. Weiße Vierecke markieren am Boden die Bushaltestellen. Steht man darauf, hält das nächste freie Sammeltaxi an. Etwa alle paar hundert Meter gibt es solche Markierungen, sodass man quasi überall einsteigen kann.

In den nächsten Tagen hänge ich überall in der Marina Port Louis meine Flyer auf, frage herum oder sitze mit meinem Pappschild Looking for a boat an den Pontoons. Morgens bade ich direkt vor meinem Zelt im Meer oder benutze die Duschen in der Marina, zu denen mir einige Segler den Zugangscode verraten haben. Gegen Mittag genehmige ich mir meist ein Stück Kuchen oder einen Mangosaft im Knife & Fork, einem Restaurant gleich neben der Victory Bar, in dem meine Freundin Chrystal arbeitet, ein Mädchen in meinem Alter, das ab dem nächsten Jahr das Krankenschwesterstudium in der berühmten St. George’s University beginnen möchte. Wir quatschen eine Weile, bevor es weitergeht.

Abendliche Besucher

Abends lege ich mich in meine Hängematte, die ich an dem großen Baum neben meinem Zelt aufgespannt habe und lese eines der Bücher, die ich mir von dem Bücherbaum in der Marina ausgeliehen habe. Kurz vor dem Dunkelwerden kommen dann manchmal die Kinder oder Shiquam vorbei, besetzen meine Hängematte oder schwingen auf einer der Schaukeln, die hier herunterhängen. Einen paar von ihnen versuche ich, das Ukulelenspiel beizubringen, aber die Begeisterung hält für einen Fortschritt nicht lange genug an… :)

Nachdem ich die Karibik in no time heruntergerast bin, fühlt sich der Stopp in Grenada wie eine Ewigkeit an. Meine Euphorie, auch hier innerhalb zwei oder höchsten drei Tagen ein neues Boot zu finden, verflüchtigt sich schnell. Ein wenig verbeiße ich mich in die Suche, kann sie gar nicht mehr genießen.

Am Freitag mache ich daher erst einmal eine Pause. Mit zwei verschiedenen Sammeltaxis fahre ich in den Süden der Insel und betrete dann mithilfe der Shuttles das Universitätsgelände. So viel habe ich inzwischen von der St. George’s Universität gehört, dass ich sie endlich mit eigenen Augen sehen möchte.


Die St. George's Universität (SGU) in Grenada ist eine renommierte private Hochschule, die 1976 gegründet wurde. Sie ist vor allem für ihre medizinische Fakultät bekannt, die international einen hervorragenden Ruf genießt. Ein Großteil ihrer Studenten stammt aus den umliegenden Karibikstaaten wie Trinidad sowie den USA, und viele Absolventen setzen ihre Karriere in nordamerikanischen Krankenhäusern und Kliniken fort. Die SGU bietet neben Medizin auch Studiengänge in Veterinärmedizin, Kunst und Wissenschaften sowie Gesundheitswissenschaften an. Ihre starke Verbindung zu den USA, die hohe Erfolgsquote bei medizinischen Zulassungsprüfungen und die umfassenden klinischen Ausbildungsmöglichkeiten machen sie zu einer beliebten Wahl für angehende Mediziner und Krankenschwestern.

Das Gelände der Universität raubt mir schier den Atem. Wie eine eigene Stadt ragen die sandfarbenen Gebäude vor dem kristallblauen Wasser des Atlantiks in die Höhe. Studenten bevölkern die Straßen, aus aller Herren Länder. Die schuleigenen Shuttlebusse bringen sie zu verschiedenen Spots der Insel, an denen es Einkaufsmöglichkeiten oder weiterführende Busverbindungen gibt. Täglich gibt es Führungen für interessierte want-to-be-Studenten und deren Eltern. Ich schließe mich einer solchen Gruppe an und wandere über den Campus.

Lernplatz mit Meerblick

Studentenunterkünfte direkt am Meer, offene Lern- und Arbeitsplätze mit den tollsten Aussichten, ein Gym draußen und drinnen, Tennisplätze, Volleyballplätze, große Hörsäle, Grillplätze und Foodstände statt einer Mensa, die Essen aus den verschiedensten Regionen der Karibik verkaufen. Am Abend, als der Unterricht vorbei ist, sitzt man auf der Wiese zusammen und redet, spielt verschiedene Ballsportarten oder sitzt in den offenen Lernbereichen und lauscht dem Rauschen des Meeres. Mehr College-Feeling geht nicht. Die Szenerie könnte auch direkt aus einem Prospekt stammen.

»Es war soooo schön dort! Ein Traumort zum Studieren!«, erzähle ich später jedem, der es hören will. »Und dann hab ich die Studiengebühren gesehen und mir gedacht… joa… Europa hat eigentlich auch ganz schöne Unis.« ^^



Auf dem Rückweg von der Uni verfahre ich mich und muss ein Stück laufen. Dabei treffe ich auf Ken. Er spricht mich an, als ich mich suchend umgucke. Ken arbeitet im Hafen und verspricht mir, sich mal bezüglich einer Containerschiffpassage für mich umzuschauen. »Und wenn du mal einen Fahrer brauchst, um die Insel zu erkunden«, fügt er noch hinzu, »bin ich gerne zur Stelle. Meine Kinder wohnen alle verstreut in der Welt, dir würde ich gerne meine zeigen.«

Pause am Bathway Road

So kommt es, dass ich mich bereits am nächsten Sonntag nach einem Gottesdienstbesuch in der Cathedral of the Immaculate Conception (bei dem am Ende alle Besucher, Geburtstagskinder und Paare mit Jahrestag am Ende für einen Extrasegen nach vorne gebeten wurde – eine Willkommensgeste, die mich sehr rührt) auf einem Roadtrip quer durch Grenada befinde. Zusammen besuchen wir – mit Kens altem Truck, durch den peppige Reggae-Musik dröhnt - das alte Kriegsfort Frederick, die Annendale Falls, Lake Etang, das Oststädtchen Grenville, einen Bingoclub in La Poterie, Lake Antoine, fahren über den Bathway Beach, suchen Schildkröten am Levara Beach und durchqueren die kleinen Küstenorte Santeurs, Duquesne, Victorin und Gonyave, bevor es zurück nach St. George’s geht.



Frisch gefangener Fisch auf Blättertellern

Voller Eindrücke und beschenkt mit einer wunderschönen Schildkrötenkette von den Annendale Falls wandere ich langsam zu meinem Lager zurück – und gerate unmittelbar in eine Strandparty hinein. Einer der Onkels aus der Hüttensiedlung hat Geburtstag und das nimmt man gerne als Grund zum Feiern. Aus mitgebrachten Boxen dröhnt Musik, in der provisorischen Bar werden Drinks verteilt. Erwachsene unterhalten sich lautstark, kleine Kinder spielen im Sand Fußball. Nicht lange, und ich schwimme mit ein paar Jugendlichen im Meer, während wir versuchen, den Einbaum von Shiquam und seinen Cousins ins Wasser zu kippen. Die Stimmung ist großartig und niemand scheint sich dafür zu interessieren, dass ich keine Einheimische bin.


Bereits am nächsten Tag soll ein Containerschiff nach Trinidad auslaufen, dessen Kapitän mich mitnehmen würde. Am Morgen breche ich daher mein Lager ab und mache mich mit Sack und Pack auf den Weg zum Cargoport. Nur etwa sechs Stunden dauert die Überfahrt mit den motorenbetriebenen Schiffen. Eine Wohltat für meine Seekrankheit. Am Port angekommen frage ich mich mithilfe von Ken zum Kapitän durch. Aber dann die schlechte Nachricht: Im letzten Moment verbietet mir die Hafenbehörde, als Passagierin mitzufahren. Für Einheimische wird das gemacht, das habe ich schon mehrfach gehört, aber als Ausländerin ist es der Behörde trotz meines gültigen Weiterfahrtickets für die Fähre zu heiß. Das Schiff legt ohne mich ab.

Enttäuscht und ratlos sitze ich mit meinem Gepäck vor dem Port in der Sonne. Was nun? Mein Camp am Strand habe ich ja abgebaut. Soll ich zurückgehen und mein Zelt einfach wieder aufstellen? Kens Angebot annehmen und ins Zimmer seiner Tochter einziehen? Mir doch ein Hostel suchen? Vielleicht nach Hog Island gehen, das mir schon andere Boathitchhiker empfohlen hatten?

Während ich noch dort sitze und grüble, bleibt eine Frau neben mir stehen. Als sie bemerkt, dass ich schon länger hier sitze, setzt ein Redeschwall ein. »What are you doing here alone? It’s going to be dark. Oh, it’s going to be dangerous! You shouldnt wait here!« Nach einem kurzem Wortwechsel ist klar: Lorna arbeitet in der Cargo-Verwaltung und ist gerade auf dem Heimweg. Und auf keinen Fall will sie mich hier sitzen lassen, so von Frau zu Frau. Kurzerhand bietet sie mir ein Zimmer in ihrem Haus an. Weil ich ein gutes Gefühl dabei habe und sie auch mit Ken bekannt ist, gehe ich darauf ein und sitze kurz darauf in einer geschmackvoll eingerichteten Küche in einem Haus an den Hängen von St. George’s. Auch ein junger Schüler aus Carriacou, der in Grenada die weiterführende Schule besucht, wohnt hier und macht unsere kleine Gemeinschaft komplett.


Vorbereitungen für den fishcake

Die nächsten Tagen tröpfeln mit der Bootssuche nur dahin. Lorna hat einen erwachsenen Sohn, der in den USA studiert und hat viel Redebedarf, den ich gerne stille. Zusammen gehen wir abends einkaufen und sonntags zur Kirche, sie zeigt mir, wie man fishcake macht (der überhaupt nichts mit Kuchen zu tun hat) und an ihren freien Tagen arbeiten wir manchmal zusammen im Garten, der vor Mangobäumen nur so platzt.

Reinschnuppern in die Vorlesung

An einem Dienstag fahre ich erneut zur St. George’s University. Es hatte mir auf den Fingernägeln gebrannt, einmal eine Vorlesung miterleben zu dürfen und die Sekretärin hat mir auf Anfrage die Genehmigung und Daten dafür ausgehändigt. Nun sitze ich gegen neun Uhr morgens zusammen mit etwa zweihundert Medizinstudenten im zweiten Semester in einem der Vorlesungssäle und höre mir »Introduction to Psychopathology & Anxiety Disorders« an. Eine tolle Erfahrung, zumal ich sogar ein paar der eingeführten Systeme verstehe.

Spendierter Hummer

Drei Tage später holt Ken mich mit dem Auto ab und wir fahren einige Marinas im Süden der Insel ab. In Prickley Bay findet in der lokalen Bar gerade ein Trommelkonzert statt. Wir setzen uns eine Weile dazu und ich komme unter anderem mit einem nordirischen Pärchen ins Gespräch. Als sie später gehen, drücken sie mir lächelnd einen Kassenbon in die Hand und verschwinden. Verwundert starre ich auf den Zettel. Als ich einen der Kellner um Rat frage, realisiere ich: Das Pärchen hat mir ein komplettes Menü bezahlt. Ich muss es mir nur vom Buffet abholen. Weil sie nicht wussten, was ich gerne hätte, haben sie einfach das teuerste Gericht genommen. Ich bin baff. Wir kannten nicht einmal unsere Namen, geschweige denn länger als zwanzig Minuten. Immer wieder werde ich auf dieser Reise von selbstlosen und uneigennützig handelnden Menschen überrascht. Und sie wecken in mir den Wunsch, diese Eigenschaften in mir weiterzutragen und mit einem selbstverständlichen Lächeln in die Welt hinausgehen.

(Am Ende schlemme ich zusammen mit Ken den ersten Hummer meines Lebens.)

Christy, Ich und Jill

»You are so sweet. Come on board!« Mit diesen Worten werde ich auf einen Drink auf die Serenity eingeladen. Das moderne Monohull-Segelboot liegt irgendwo ganz am Ende vom letzten Steg in Port Louis. Eigentlich das letzte Boot, mit dem ich meine heutige Fragerunde beenden wollte. Christy, die texanische Bootseignerin, sowie ihre Freundin Jill und der englische Segellehrer Marc begrüßen mich herzlich an Deck und lauschen interessiert den Erzählungen meiner bisherigen Reise. Christy, Abenteurerin im Herzen, ist total begeistert und würde mich am liebsten sofort adoptieren. »I’m so excited«, verkündet sie, »to find a boat for you. I’ll ask around!« Und tatsächlich – als ich in den nächsten Tagen wieder herumgehe, haben etliche Bootsbesitzer schon von dem »jungen, deutschen Mädchen auf Bootssuche« gehört.

Dass die besten Begegnungen immer unverhofft kommen, bestätigt sich mir erneut, als ich wenig später – wieder einmal beim Herumfragen in Port Louis – auf Andrea und Klaus treffe. Das Paar aus Deutschland ist bereits vor geraumer Zeit mit seinem seawind cat in Vietnam gestartet und hat eine Menge Geschichten von seiner Reise zu erzählen, eine spannender als die andere. Unsere Gespräche sind so anregend und unterhaltsam, dass ich mich erst spät am Abend auf den Rückweg mache. Der Bäcker in der Marina, bei dem ich immer meine Lieblingszimtschnecken hole, nimmt mich ein Stück mit. Aber bereits zwei Tage später bleibe ich erneut bei Andrea und Klaus hängen. Es sind diese Zufallsbegegnungen, Leute, mit denen sich mein Weg für eine kurze Zeit kreuzt, bevor es für alle zu neuen Abenteuern weitergeht, die mir einen kleinen Einblick in ein anderes Leben geben und mich unglaublich zufrieden und erfüllt zurücklassen. Ich werde eure Reise definitiv weiter verfolgen!

Bananen am Straßenrand :)

In der Zwischenzeit habe ich mir in den Kopf gesetzt, den Mount Saint Catherine (840m), den höchsten Berg Grenadas zu besteigen und die Insel bei dieser Gelegenheit einmal von Osten nach Westen zu überqueren. Das sollte innerhalb einer Tagestour machbar sein. Morgens fahre ich deshalb mit dem Bus nach Grenville und laufe los. Es ist brütend heiß und natürlich habe ich zu wenig Wasser dabei. An einem Ministand, der nur mithilfe eines Dorfbewohners zu finden war, gibt es nur Cola und Orangensaft zu kaufen. Na gut, muss so gehen. Ich komme an Kakao- und Bananplantagen vorbei, bevor ich schließlich in den gebirgigen Dschungel eintauche. Lediglich ein Bauer kommt mir einmal entgegen, ansonsten bin ich allein und genieße Ruhe wie Aussicht. Nach etwa vier Stunden erreiche ich den windigen Gipfel in der Mitte der Insel und mache mich an den Abstieg. Dabei verliere ich einmal den schlecht markierten Weg und finde einen einsamen Fluss, dem ich ein kurzes Stück bis zu einem kleinen Wasserfall folge. Niemand ist hier. Begeistert steige ich in das Becken unter dem Wasserfall und schwimme zu den bunt schillernden Steinwänden. Ein Paradies, nur für mich.

Nach einer Weile ziehe ich mich wieder an und laufe zurück, um den richtigen Weg einzuschlagen. Inzwischen habe ich furchtbare Kopfschmerzen. Vermutlich die Sonne heute. Ich will nur noch nach Hause zu Lorna. Zunächst aber muss ich weiter absteigen. Als es langsam dämmert, erreiche ich die erste Straße. Ein verlassener Hof liegt zu meiner Rechten. Verlassen? Nicht ganz. Zwei kläffende Hunde stürmen hinter dem Gatter hervor und versuchen, den Eindringling zu vertreiben. Mit strammen Schritten laufe ich die Straße weiter hinunter und versuche, trotz meiner aufkommenden Angst, ihnen mit herrischer Stimme Einhalt zu gebieten. Einer der Hunde versucht immer wieder, in meine Hand zu beißen. Ich schaue mich verzweifelt um, aber hier ist niemand. Nicht einmal der Eigentümer. Ich herrsche die beiden an, als sie plötzlich stehen bleiben und mir mit zusammengekniffenen Augen hinterherschauen.

Ich muss irgendeine unsichtbare Linie überquert haben, die das Ende ihres Reviers markierte. So ein Glück. Erleichtert setze ich meinen Weg fort.

Ein Stück weiter unten treffe ich am Fluss Clievon, der hierher immer zum Autowaschen kommt und sich furchtbar erschreckt, als plötzlich jemand die einsame Straße aus dem Wald entlangkommt. Er nimmt mich bis nach Gouyave mit, von wo aus mich schließlich eine Familie auf dem Weg nach St. George’s aufsammelt. Spät am Abend erreiche ich Lornas Haus und kann nur noch todmüde ins Bett fallen.



Wie sehr sich die Bekanntschaft mit Andrea und Klaus auch im Bezug auf meine Bootssuche glücklich auswirkt, merke ich, als ich an einem sonnigen Freitagmorgen auf der Hafenmauer sitze und den beiden beim Auslaufen zum Abschied nachwinke. Ein wenig Wehmut liegt in der Luft. Und das Tuckern eines Dinghymotors. Ein hochgewachsener, blonder Mann legt mit seinem Schlauchboot vor mir an und hält sich mit der Hand an den Steinen fest.

»Ich bin auf der Suche nach Crew, um nach Trinidad zu segeln«, erklärt er mir auf Englisch mit starkem Akzent. »Kennst du jemanden?«

Ich nicke und deute auf mich. Mein Herz klopft. Sollte es nach drei Wochen…?

»Heute Nacht wollte ich los.«

Ich schlucke. Das ist ganz schön gleich bald. Wäre eine Menge zu tun und zu verabschieden am heutigen Tag. Andererseits… Die Fähre von Trinidad nach Venezuela fährt nur zweimal im Monat. Das nächste Mal am Dienstag. So viel Glück werde ich bis dahin nicht noch einmal haben. Ich schlage ein, hole mir jedoch vorher noch die Einschätzung von zwei anderen Hitchhikern ein, die zuvor mit Salvador, dem argentinisch-griechischen Kapitän, gesegelt sind. Sie geben mir ihr ok, es gäbe keinen Besseren.

Kleine Geburtstagsleckereien

Aus dem geplanten Entspannungstag wird nun ein hektischer Organisationstag. Zuallererst packe ich Zuhause bei Lorna meine Sachen, hole noch einen vergessenen Zelthering vom Strand ab, besorge ein paar Gebäckstücke zum Verabschieden, mache die Papiere zum Ausdeklarieren klar, verabschiede mich von Chrystal im Knife & Fork und treffe mich am späten Nachmittag mit der Crew der Serenity Christy, Jill, Marc sowie deren angereisten Freunden Maria und James, deren Geburtstag heute ist. Damit endet mein letzter Abend auf Grenada in einer ausgelassenen Geburtstagsfeier mit viel Kuchen und Gelächter.

Später fährt Marc mich nach Hause, damit ich meine Sachen holen kann. Salvador wird mich später mit dem Dinghy abholen und aufs Schiff bringen. Nun muss ich mich aber erst einmal von Lorna verabschieden, die mich während meiner Zeit hier wahrlich herzlich aufgenommen und bemuttert hat. Das fällt schwer. Ich drücke sie noch einmal ganz fest. Verspreche, wiederzukommen. Dann lenke ich meine Schritte nach draußen. Drehe mich noch einmal um. Im Nachbarhaus hebt auch die 101-jährige Christina kurz ihren Arm. Lorna grinst. Ich winke.

Es geht weiter.



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